Berlin: Heute, am 24. März, an dem den Bundestagsabgeordneten noch 94 Tage verbleiben, um ein gutes Barrierefreiheitsrecht in dieser Legislaturperiode zu verabschieden, sind die Augen und Ohren vieler behinderter Menschen und ihrer Verbände auf das Bundeskabinett gerichtet. Auf der Tagesordnung der Ministerinnen und Minister der Bundesregierung steht heute nämlich der Beschluss für einen Gesetzentwurf für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Mit dem Gesetz, das dann in den Bundestag zur Beratung und zur Beschlussfassung eingebracht wird, soll eine EU-Richtlinie zum European Accessibility Act in deutsches Recht umgesetzt werden. Offen ist noch, ob und welche Vorschläge der Verbände in den Gesetzentwurf eingeflossen sind und ob der Gesetzentwurf den Namen verdient.
"Barrierefreiheitsstärkungsgesetz - Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (BFG)", so lautet der vollständige Titel des Gesetzentwurfs, der heute voraussichtlich im Bundeskabinett beraten und beschlossen wird. So kompliziert wie der Name dürften auch manche Regelungsprozesse im Gesetzentwurf sein, denn dieser berührt Fragen wie die Marktüberwachung und welche Regelungen bei Produkten und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit eingehalten werden müssen.
"Dieses Gesetz soll erstmalig in Europa und Deutschland die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen auch für die Privatwirtschaft festschreiben. Allerdings setzt die digitale Barrierefreiheit in vielen Punkten auch eine bauliche Barrierefreiheit voraus“, kommentierte die Expertin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), Jessica Schröder, vor kurzem den bisherigen Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der auf dem European Accessibility Act (EAA) basiert. Digitale Barrierefreiheit sei Pflicht, bauliche Barrierefreiheit werde als Kann-Bestimmung in der Richtlinie formuliert. Deshalb setzen sich die Verbände dafür ein, dass neben der digitalen Barrierefreiheit auch das bauliche Umfeld berücksichtigt wird. "Was nützt es einem behinderten Menschen, wenn der Geldautomat barrierefrei ist, wenn man dort aufgrund von Barrieren gar nicht hinkommt", fragt daher Jessica Schröder.
Neben der Frage der Barrierefreiheit des baulichen Umfeldes darf man auch darauf gespannt sein, ob die Bundesregierung die Fristen für die Umsetzung der Regelungen verkürzt, denn bisher darf man zum Teil bis 2035 warten, bis Angebote und Produkte barrierefrei sein müssen.
Dass der Vorschlag des Forums behinderter Juristinnen und Juristen für Änderungen im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) zur generellen Verpflichtung auch privater Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit unter Berücksichtigung einer Überforderungsklausel, angemessenen Vorkehrungen und von Schlichtungsverfahren im Gesetzentwurf der Bundesregierung berücksichtigt wird, gilt angesichts der Blockadehaltung der CDU/CSU als unwahrscheinlich. Hier gilt der Blick den Bundestagsabgeordneten, die sowohl die Möglichkeit haben, den Vorschlag der behinderter Jurist*innen im Teilhabestärkungsgesetz, das am Freitag, den 26. März, im Bundestag in erster Lesung debattiert wird, als auch im heute voraussichtlich vom Kabinett beschlossenen Gesetz zur Barrierefreiheit aufzugreifen. Spannende Zeiten liegen also vor uns.
Link zur Kampagne für ein gutes Barrierefreiheitsrecht
Links zu weiteren Beiträgen im Rahmen der Kampagne "Noch 100 Tage für ein gutes Barrierefreiheitsrecht"
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