Kassel: Auch für die Generation der 68er, die mit ihren Protesten vor über 50 Jahren begann, die Gesellschaft zu verändern, hat Barrierefreiheit eine zunehmend wichtige Bedeutung. Darauf weist Markus Ertl vom Verein UNgehindert heute am 19. April hin. Denn nun sind es nur noch 68 Tage, die den Bundestagsabgeordneten verbleiben, um in dieser Legislaturperiode ein gutes Barrierefreiheitsrecht zu verabschieden.
Der ehemalige langjährige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele, hat die Diskriminierungen, mit denen diejenigen konfrontiert sind, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, schon am eigenen Leib erfahren müssen, als er mit seinem Rollator mit der Deutschen Bahn fahren wollte. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hat Anfang letzten Jahres darüber berichtet, dass die Deutsche Bahn sich geweigert hat, Hans-Christian Ströbele mit seinem Rollator "in den Zug zu hieven". Allein komme er aufgrund des Höhenunterschieds nicht mehr in die Züge, hatte Christian Ströbele gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland geäußert und sich bei der Bahn beschwert.
Link zum Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom 14. Januar 2020
Dies ist für Markus Ertl nur ein Beispiel der Diskriminierungen, die viele ältere Menschen genauso wie behinderte Menschen, die die Barrieren von jung an kennen, zunehmend erleben müssen. Seien es die Stufen vor Geschäften, Probleme bei der Internetnutzung, weil die Seiten nicht barrierefrei sind oder eben die Nutzung nicht barrierefreier Verkehrsmittel, ältere Menschen haben daran genauso tagtäglich zu knabbern, wie Menschen, die schon länger behindert sind.
Markus Ertl hofft daher, dass diejenigen, die schon vor über 50 Jahren die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als nicht gegeben akzeptierten und unermüdlich für Veränderungen kämpften, sich nun wie Hans-Christian Ströbele auch gegen Barrieren wehren. Sie seien inzwischen fast alle über 70 Jahre alt und zunehmend von Barrieren betroffen. Denn die bisher im Gesetzentwurf für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vorgesehenen Regelungen seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein, durch die nur wenige Barrieren abgebaut würden. Und die Fristen zur Schaffung von Barrierefreiheit seien zum Teil länger als der erkämpfte Atomausstieg bzw. als beim geplanten Kohleausstieg.
Der Zeitpunkt für ein Engagement für umfassende Regelungen für ein gutes Barrierefreiheitsrecht, wie sie beispielsweise seit Jahren in Großbritannien und Österreich gelten, sei zudem Jetzt. Denn in wenigen Wochen verabschiedet der Bundestag das noch schwer verbesserbare Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Bereits heute, am 19. April, könnten die Bundestagsabgeordneten bei der Anhörung zum Teilhabestärkungsgesetz ein Zeichen für mehr Barrierefreiheit setzen und den vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen gemachten Vorschlag für umfassende Regelungen zur Barrierefreiheit für private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten im Behindertengleichstellungsgesetz ernsthaft erörtern.