Berlin: Ohne nennenswerte Änderungen wurde heute am 20. Mai 2021 um 22:45 Uhr das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz nach ca. 35minütiger Debatte mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD beschlossen. Dagegen stimmten die FDP und die Grünen bei Enthaltungen der LINKEN und der AfD. Ein Antrag für umfassendere Regelungen zur Barrierefreiheit von Bündnis 90/Die Grünen wurde abgelehnt. Das Gesetz entfaltet seine Wirkung erst ab 2025 und bis alle Terminals barrierefrei nutzbar sein müssen, müssen die Betroffenen zum Teil bis 2040 warten. Zudem gab es keinerlei Bewegung bei CDU/CSU und SPD die von den Behindertenverbänden geforderte Verpflichtung zur Barrierefreiheit des baulichen Umfelds zu regeln. Rollstuhlnutzer*innen müssen also wahrscheinlich noch viel länger warten, bis sie an alle Terminals barrierefrei rankommen, vom Zugang zu Läden, Kinos, Gaststätten etc. ganz zu schweigen.
Während die Behindertenbeauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wilfried Oellers, und von der SPD-Bundestagsfraktion, Angelika Glöckner, hauptsächlich das mit dem Gesetzentwurf Erreichte lobpriesen, was weitgehend den Anforderungen der EU-Richtlinie entspricht, die Deutschland ohnehin umsetzen muss, machten Jens Beeck von der FDP, Sören Pellmann von der Linksfraktion und Corinna Rüffer von Bündnis 90/Die Grünen deutlich, dass diese Regelungen keineswegs für eine nötige umfassende Verpflichtung zur Barrierefreiheit ausreichen. In der Debatte und anschließenden Abstimmung setzte sich sozusagen das unengagierte und wenig zukunftsweisende Handeln der Regierungskoalition in Sachen Barrierefreiheit fort, das schon bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 17. Mai zu beobachten war.
Nicht nur während der Debatte zur späten Stunde, sondern auch während des gesamten Gesetzgebungsprozesses hatten die CDU/CSU und SPD immer wieder vermittelt, dass dieses Thema, das viele Millionen Menschen betrifft, ihnen eher lästig ist. Nicht nur, dass es gar keine Debatte zur ersten Lesung des Gesetzes gegeben hatte, so sollte es nach dem Willen der Koalition nicht einmal eine Anhörung geben, die dann auf Drängen der Opposition durchgesetzt werden konnte, aber erheblich gekürzt wurde. Hinzu kam nun noch das Aufsatteln weiterer völlig themenfremder Gesetzesregelungen in dieses Gesetzgebungsverfahren, was zudem von der Debatte zum Thema ablenkte. Statt eines Omnibusgesetzes, wo noch vieles drauf gepackt wurde, hätten sich die Betroffenen lieber barrierefreie Busse gewünscht, brachte es Jens Beeck von der FDP dann auch auf den Punkt.
Sören Pellmann von der Linksfraktion bekräftigte die Kritik der Betroffenen und verwies darauf, dass es die Koalitionsfraktionen versäumt hätten, sich am 5. Mai vor Ort am Brandenburger Tor bei der Aktion mit einem Geldautomaten mit Stufen bei den Betroffenen zu informieren. Corinna Rüffer von den Grünen wies in ihrer zum Teil sehr emotional geführten Rede darauf hin, dass mit diesem Gesetz Hoffnungen geweckt wurden, die nicht erfüllt werden. Die Betroffenen seien resigniert anhand dieses Ergebnissen und ärgerten sich darüber. Sie seien richtig wütend. Praktisch zeigte sie auf, wie froh viele sind, Siri als Sprachassistent von Apple nutzen zu können, was schlichtweg ein Hilfsmittel für mehr Barrierefreiheit sei.
Behindertenverbände stellen sich nun bereits auf den anstehenden Wahlkampf für die Bundestagswahl am 26. September ein, um Wähler*innen und Wähler mit Behinderungen und ihre Unterstützer*innen für echte Veränderungen für Barrierefreiheit und Inklusion statt ständiger Trippelschritte zu mobilisieren. Die heutige Debatte und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das zwar irgendwann einige wenige Verbesserungen bringen wird, war da eher ein Schuss in den Ofen, wie sich einige Beobachter*innen der heutigen Debatte in ersten Reaktionen einig waren.
Link zur Aufzeichnung der Bundestagsdebatte zum Barrierefreiheitsrecht
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