Berlin: "Von Fragen und keinen Antworten – ein Gespräch mit dem Bundesministerium für Gesundheit", so lautet der Titel eines Berichts von H.-Günter Heiden vom Runden Tisch Triage über die jüngsten Beratungen in Sachen Triage. Wie der Bericht zeigt, gibt es viele Fragen im Hinblick auf den mittlerweile vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichten Referentenentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes in Sachen Triage.
Bericht von H.-Günter Heiden
Von Fragen und keinen Antworten – ein Gespräch mit dem BMG
Am Freitag, den 10. Juni 2022, fand ein vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kurzfristig anberaumtes Videogespräch mit einigen Behindertenorganisationen, dabei auch Verbände des "Runden Tisch Triage“, zum geplanten Referentenentwurf in Sachen Triage statt. Leider wurden in dem sehr eng gesteckten zeitlichen Rahmen (knapp 90 Minuten) viele Fragen nicht oder nur unvollständig beantwortet. Deshalb wurden die Fragen durch den "Runden Tisch Triage“ direkt am folgenden Montag erneut in schriftlicher Form an das BMG gestellt, mit der Bitte um eine zeitnahe Beantwortung, da die Antworten für den weiteren Prozess sowohl für die Organisationen als auch für den Gesetzgeber selbst, entscheidend seien.
Hier die Liste der gestellten Fragen:
1. Wie ist der Zweck des Gesetzes umschrieben? (Es wurde nur ein kurzer Auszug aus dem geplanten Entwurf übersandt.)
2. Findet sich in den nicht übersandten Teilen des Gesetzes eine Definition von „kurzfristiger Überlebenswahrscheinlichkeit“ und wenn ja, wie lautet sie?
3. Sollte die „kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ nicht lediglich als das Bestehen einer Überlebenschance definiert werden, sondern vielmehr auf einen Vergleich verschiedener Überlebenswahrscheinlichkeiten abzielen: Was war der Grund für die Streichung der Ex-Post-Triage, obwohl die Überlebenswahrscheinlichkeit mit der Dauer der Behandlung sinkt?
4. Sollte die Entscheidung nach „kurzfristiger Überlebenswahrscheinlichkeit“ tatsächlich ein Abwägen von Chancen implizieren: Wie ist dies mit dem Grundsatz der Lebenswertindifferenz vereinbar bzw. wie wird eine Abkehr von diesem Grundsatz verfassungsrechtlich vertretbar begründet?
5. Die Frage danach, ob alternative Kriterien zur Überlebenswahrscheinlichkeit in Betracht gezogen wurden, wurde in der Sitzung am Freitag dahingehend beantwortet, dass Rz. 123 des Bundesverfassungsgerichtsurteils allein dieses Kriterium zulasse. Trifft es zu, dass das die Auffassung des Ministeriums ist?
6. Wie soll eine Priorisierung bei Personen bei gleicher oder nicht erheblicher Differenz der Überlebenswahrscheinlichkeit ablaufen?
7. Wie soll die Abgrenzung zwischen Komorbidität und Behinderung erfolgen (insbesondere wenn die Komorbidität gerade die Beeinträchtigung ist, welche zur Behinderung führt)? Wie soll hierbei eine Diskriminierung wegen Behinderung verhindert werden?
8. Ist ein Rechtsweg für Klagen gegen Zuteilungsentscheidungen vorgesehen, insbesondere ein solcher, der der extremen Eilbedürftigkeit Rechnung trägt?
9. Gibt es ansonsten Entschädigungsregelungen wie sie z.B. bei Impfschäden im IfSG vorgesehen sind?
10. Sind strafrechtliche Konsequenzen (welche?) geplant, wenn gegen Diskriminierungsverbote verstoßen wird und falls nicht, wie soll die Einhaltung der Diskriminierungsverbote sichergestellt werden?
11. Warum ist darauf verzichtet worden, eine richterliche Genehmigungspflicht der Zuteilungsentscheidungen vergleichbar den § 1906 Abs 2 BGB, § 1906a Abs 2 BGB oder entsprechenden Regelungen bei Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen nach den PsychKGS der Länder zu konstituieren, die auch im Eilverfahren und äußerstenfalls ggf. nachträglich erfolgen können?
12. Welche Verfassungsrechtler*innen, Rechtsethiker*innen und Strafrechtsprofessor*innen waren an der Ausarbeitung beteiligt? Welche Vertreter*innen/Organisationen der Ärzteschaft wurden eingebunden?
Die (immerhin zeitnahe) Antwort des Staatssekretärs Dr. Thomas Steffen vom 15. Juni lautet:
"Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 13. Juni 2022, im Nachgang zu unserer Videokonferenz in der letzten Woche. Den von Ihnen erbetenen vollständigen Text des Referentenentwurfes haben Sie zwischenzeitlich ja erhalten. Sie werden auch gesehen haben, dass wir den Wunsch nach einer längeren Konsultationsfrist aufgegriffen haben. Die jetzt genannten Fragen werden wir, wie letzte Woche angekündigt, im weiteren Verfahren besprechen können.“
Wie jetzt? Weiß das BMG selber noch nicht, was es mit dem Referentenentwurf beabsichtigt? Wer soll denn sonst die Fragen beantworten? Die Verbände in der kommenden Anhörung? Von denen wird es höchstens weitere Fragen an das Ministerium geben, die dann, wie aus anderen Anhörungen bekannt, vermutlich auch unbeantwortet bleiben. Von Ministeriumsseite heißt es doch bei Anhörungen immer so schön: "Das nehmen wir jetzt mal so mit!“