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Per Busch mit Führhündin Peggy vor Holzgeländer im Wald- Foto: Kathrin Meyer

Kassel: Gerade während der Corona-Beschränkungen haben viele Menschen die Wälder als erlaubten Freiraum genutzt und genossen. Für Per Busch sind Waldaufenthalte nachhaltig gesund und sollten für möglichst viele Menschen möglich sein. U.a. mittels einer erfolgreichen Petition hat sich Per Busch aus Kassel für mehr Barrierefreiheit im Wald erfolgreich stark gemacht und bleibt auch weiterhin am Thema dran. Für Ottmar Miles-Paul vom NETZWERK ARTIKEL 3, der folgendes Interview mit dem engagierten blinden Waldliebhaber führte, ist das eine gute Nachricht zur Inklusion.

Ottmar Miles-Paul: Ein barrierefreies Naturerleben liegt Ihnen besonders am Herzen, so dass Sie sich in den letzten Jahren für den Erhalt einer ertastbaren Orientierungshilfe auf einem Waldweg eingesetzt haben. Worum geht es dabei genau?
 
Per Busch: Es geht um einen Weg, der 1973 als "Waldwander-, Waldlehr- und Gymnastikpfad für Blinde und Sehende" im Kasseler Habichtswald eröffnet wurde. Er war der erste seiner Art in Deutschland und ist daher ein Stück Inklusionsgeschichte. Sein Begründer erhielt unter anderem auch dafür das Bundesverdienstkreuz. Von der Einrichtung ist seit längerem nur noch das als Orientierungshilfe fungierende Holzgeländer übrig. Als blinder Mensch konnte man auf diesem zwei Kilometer langen Rundweg spazieren gehen, indem man den Blindenstock über das Geländer gleiten ließ. Auf diese Weise war es möglich, dem Weg sicher und entspannt zu folgen und alleine und unabhängig die Waldatmosphäre zu genießen. Das Geländer war aber auch für Menschen mit Sehbehinderung, geschwächter Konstitution, beginnender Demenz und anderen Orientierungsschwierigkeiten hilfreich. Es ermöglichte vielen, Wald angstfrei erleben zu können. Für mich als blinder Mensch hat dieser Weg sehr zur Verbesserung meiner Lebensqualität beigetragen.
 
Im Juni 2020 wurde plötzlich ein Teil dieser Orientierungshilfe abgebaut. Auf Nachfrage hin kündigte die Naturparkverwaltung an, dass auch der Rest des Leitsystems bald entfernt würde. Begründet wurde das mit dem hohen Risiko für blinde Menschen aufgrund der trockenheitsbedingten Waldschäden und den hohen Kosten für ansonsten notwendige aufwendige Baumsicherungsmaßnahmen.
 
Ottmar Miles-Paul: Welche Initiativen haben Sie ergriffen, nachdem bekannt wurde, dass die Barrierefreiheit beim Pfad verschlechtert werden sollte?
 
Per Busch: Zuerst versuchte ich, mit der Naturparkverwaltung zu reden. Dort war man aber nicht an einem Gespräch interessiert. Als dann plötzlich tatsächlich mit dem Abbau der Orientierungshilfe begonnen wurde, machte ich meinem Frust in einem Text auf meiner Website dubistblind.de öffentlich. Dort stellte ich den teilweise "ableistischen" Argumenten der Naturparkverwaltung meine eigenen entgegen und dokumentierte die Vorgeschichte des Abbaus und die weiteren Geschehnisse. Dann sorgte ich dafür, dass möglichst viele relevante Personen und die Medien davon erfuhren. So beispielsweise auch der Behindertenbeirat der Stadt Kassel, der vorher nicht über den geplanten Rückbau des Leitsystems informiert war, ein beteiligungspolitischer Rückschritt. Außerdem reichte ich eine Petition beim Hessischen Landtag ein, weshalb sich der Petitionsausschuss ebenfalls mit der Angelegenheit beschäftigte.
 
Ottmar Miles-Paul: Und was ist dabei herausgekommen?
 
Per Busch: Zunächst einmal wurde ein weiterer Abbau des voll funktionsfähigen Geländers gestoppt. Bei der Stadt Kassel wurde eine Arbeitsgruppe mit vielen Beteiligten gegründet, Zeitungen und Fernsehen berichteten, Kommunalpolitiker*innen gaben Pressemitteilungen heraus und in der Stadtverordnetenversammlung und in Ausschüssen wurde diskutiert.
 
Anfänglich wurde das Ganze leider auch für den beginnenden Kommunalwahlkampf genutzt. Das war mir sehr unangenehm, hat dadurch aber wahrscheinlich noch mehr Menschen auf das Thema der Barrierefreiheit im Wald aufmerksam gemacht.
Im Juli 2021 gab es schließlich einen Ortstermin mit dem Petitionsausschuss des Hessischen Landtags sowie Vertreter*innen von Umweltministerium, HessenForst, Naturparkverwaltung und der Hessischen Beauftragten für Menschen mit Behinderungen. Die strittigen Punkte konnten geklärt werden und meine Rechtsauffassung wurde bestätigt. Das wichtigste Ergebnis war, dass die taktile Orientierungshilfe künftig als Wegmarkierung gilt und nicht mehr als sogenannte "Erholungseinrichtung".
 
Das ändert die rechtliche Situation entscheidend. Der Weg muss jetzt nur noch wie jeder andere Waldweg behandelt werden. Es gibt keine erhöhte Verkehrssicherungspflicht. Es gibt keine "Sonderbehütungspflicht" gegenüber behinderten Erholungssuchenden. Wegen der Orientierungshilfe müssen keine Bäume gefällt werden, die nicht sowieso hätten gefällt werden müssen. Außerdem sicherte das Umweltministerium zu, dass das Leitsystem langfristig erhalten bleibt. Alle Argumente und Expertenmeinungen bezüglich Verkehrssicherungspflicht kontra Barrierefreiheit habe ich hier zusammengefasst: https://harleswald.de/blindenpfad/orientierungshilfe/
 
Ottmar Miles-Paul: Sie haben mittlerweile viele Erfahrungen mit der Politik und Verwaltung bis hin zur Einreichung einer Petition gemacht. Welche Tipps können Sie anderen geben, die sich für ähnliche Initiativen stark machen?
 
Per Busch: Bei einer Petition denkt man meist an das Sammeln von Unterschriften. Dass es aber auch ohne geht und auch Einzelpersonen eine Petition beim Landtag oder Bundestag einreichen können, weiss fast niemand. Ich wusste davon auch nichts. Bis mich der Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels bei Twitter auf dieses tolle demokratische Grundrecht hinwies.
 
Daraufhin habe ich meine Beschwerde formuliert und dann ganz einfach zusammen mit dem Link zu meiner Webseite https://dubistblind.de/der-tod-eines-blindenwegs/ über das Online-Formular https://hessischer-landtag.de/content/petitionen-0 als Petition beim Hessischen Landtag eingereicht. Das war barrierefrei möglich. Ergänzend dazu habe ich in den nächsten Monaten noch weitere Argumente und Expertenmeinungen nachgereicht. Auch das war unkompliziert. Die Mitarbeiter des Petitionsbüros in Wiesbaden waren stets sehr freundlich und hilfsbereit.
 
Mein Tipp zur Gegenwehr bei möglicherweise unrechten Entscheidungen von Behörden: Reicht eine Petition ein. Argumentiert sachlich. Recherchiert die Gegenargumente. Wendet euch an Politiker*innen, Selbsthilfeorganisationen und vielleicht auch an die Medien. Fragt Expert*innen nach ihrer Meinung. Gebt diese als Nachreichung an den Petitionsausschuss weiter. Macht die Angelegenheit eventuell öffentlich. Informiert euch über das Petitionsrecht https://de.wikipedia.org/wiki/Petition.
 
Als Petent kann man sich, zumindestens in Hessen, auch einen bestimmten Abgeordneten aus dem Petitionsausschuss als Berichterstatter wünschen. Unter Umständen kann es sinnvoll sein, dafür jemand von der Opposition zu wählen.
 
Ottmar Miles-Paul: Wie geht es nun in Ihrem Wirken für ein barrierefreies und inklusives Naturerleben weiter?
 
Per Busch: Mit meiner "Waldprojektinitiative" https://harleswald.de/projektideen setze ich mich schon seit einigen Jahren für mehr Barrierefreiheit und Sicherheit im Wald ein. Frei nach dem Motto "Wer in den Wald will, sollte es auch tun können!" Dabei geht es unter anderem um eine Waldrikscha https://harleswald.de/waldrikscha/, mehr Sitzgelegenheiten, Verbesserungen der Wegebeschaffenheit, Spaziergehtreffs für Ängstliche/Vorsichtige, 3D-gedruckte Karten und mehr.
 
Bei der Recherche zu barrierefreien Orientierungshilfen im Wald fiel mir auch auf, dass es zu diesem Thema weltweit anscheinend bislang noch keine wissenschaftlichen Arbeiten gibt. Es existieren zwar viele Leitfäden und Richtlinien zu barrierefreiem Naturerleben, aber keine konkrete Forschung zur Gestaltung taktiler Orientierungshilfen für blinde Menschen in der Natur. Um das zu ändern, würde ich gerne zusammen mit interessierten Wissenschaftler*innen vom Fachbereich ASL an der Uni Kassel ein kleines lokales Forschungsprojekt starten, befürchte aber aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen, dass Naturpark- und Forstverwaltung vielleicht dagegen sein werden.
 
Während der Corona-Beschränkungen haben viele Menschen die Wälder als erlaubten Freiraum genutzt. Waldaufenthalte sind nachhaltig gesund und sollten für möglichst viele Menschen möglich sein. Wald tut gut! Ich bin für mehr Barrierefreiheit im Wald, für ein besseres Besuchererlebnis für alle.
 
Ottmar Miles-Paul: Vielen Dank für das Interview.
Per Busch mit Hündin Peggy
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