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Katrin GenseckeWolmirstedt: Die langjährig in der Selbsthilfe behinderter Menschen und in der SPD engagierte Katrin Gensecke hat vor gut einem Jahr den Sprung in den Landtag von Sachsen-Anhalt geschafft. Dort wirkt sie vor allem im sozialpolitischen Bereich und hat schon einige Initiativen mit angeschoben. Dass die Deutsche Presseagentur (dpa) einen ausführlichen Bericht über das Wirken der Landtagsabgeordneten verbreitet hat, der u.a. in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, ist zudem eine gute Nachricht zur Inklusion, wie das NETZWERK ARTIKEL 3 findet. Ottmar Miles-Paul führte mit Katrin Gensecke folgendes Interview, in dem sie u.a. darüber berichtet, wie sie als behinderter Mensch im Landtag angekommen ist und dass sie die ambulanten Angebote stärken will.

Ottmar Miles-Paul: Seit gut einem Jahr sind Sie nun Landtagsabgeordnete der SPD in Sachsen-Anhalt. Wenn Sie an die konstituierende Sitzung des Landtags vom 6. Juli 2021 zurückdenken, wie war das für Sie, nun plötzlich im Landtag zu sitzen?

Katrin Gensecke: Ganz ehrlich, an diesem Tag war ich ganz besonders aufgeregt und habe einen Fraktionskollegen gebeten, den Weg ins "Hohe Haus" mit ihm gemeinsam zu bestreiten, das hat meinen Adrenalin-Pegel wieder etwas ins Gleichgewicht gebracht.

Als die Eröffnung vollzogen war und wir "Neuen im Parlament" unsere Begrüßung erhielten, da wusste ich, jetzt wird es wirklich ernst und für die nächsten Jahre stehe ich in der Verantwortung, die Politik in unserem Land zu gestalten, hoffentlich werde ich meine vielen neuen Aufgaben erfolgreich bewältigen können.

Ottmar Miles-Paul: Benötigen Sie aufgrund ihrer Einschränkungen behinderungsbedingte Anpassungen bzw. Nachteilsausgleiche für die Wahrnehmung ihrer Landtagsmandats und wie geht die Verwaltung damit um?

Katrin Gensecke: Diese Überlegungen habe ich gemeinsam mit unserem Fraktionsgeschäftsführer sehr frühzeitig getroffen. Daraufhin haben wir einen Termin bei der Landtagsverwaltung organisiert, wo wir die behinderungsspezifischen Bedarfe (Unterstützung zur Mobilität, Assistenz bei Terminen und Mehrbedarf für die Büroausstattung) angezeigt haben. Einen Antrag nach dem Abgeordnetengesetz - LSA im Artikel 13 beschreibt hierzu die gesetzlichen Vorgaben für "Behinderte im Parlament", welchen ich schon im Vorfeld studiert hatte. Schnell war dann ein solcher Antrag formuliert und wurde sehr zügig durch die Landtagsverwaltung und letztlich durch den Landtagspräsidenten genehmigt. Das alles hat sehr unkompliziert geklappt und mit einem kleinen Nachsatz beendet: "Frau Gensecke, wir hatten schon lange niemanden, wie Sie, also eine Abgeordnete mit einer Behinderung in unseren Reihen und lernen immer wieder dazu, was wir für diese Zielgruppe besser organisieren können."

Ottmar Miles-Paul: Welches sind Ihre Schwerpunktthemen, die Sie für Ihre Fraktion im Landtag hauptsächlich bearbeiten?

Katrin Gensecke: Als Sprecherin für Soziales ist das Aufgabengebiet ein sehr Umfängliches, mir und meiner Fraktion war es besonders wichtig, dass wir im Rahmen des "Gute-Kita-Gesetzes" des Bundes im Land die Geschwister-Regel fortsetzen konnten. Diese Regel entlastet Familien finanziell, nur die Kosten für eine Hortbetreuung müssen bezahlt werden. Daran schloss sich die Verabschiedung der Mindestbauverordnung an, die nun regelt, dass in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in Einrichtungen der Pflege 80 Prozent der Zimmer als Einzelzimmer gesetzlich vorgeschrieben sind.

Wichtig erscheint dabei, dass wir im Land dafür Sorge tragen wollen, mehr ambulante Angebote in der Behindertenhilfe und Altenpflege zu schaffen, um der Verpflichtung im Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung zu tragen. Die Novellierung des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG-LSA) wird die Zielstellung verfolgen, die demokratische Legitimation des Landesbehindertenbeirates zu stärken und die Inhalte der UN-Behindertenrechtskonvention wirksamer umzusetzen, hierzu habe ich bereits mehrere Abgeordnetengespräche mit den Vertretern:innen der Verbände geführt.

In der Gleichstellungspolitik, die auch zu meinem Aufgabengebiet gehört, sind wir dabei, ein Gleichstellungsgesetz auf den Weg zu bringen, wo u.a. auch die Istanbul-Konvention eine wichtige und tragende Rolle spielen wird.

Ottmar Miles-Paul: Sie waren ja vorher jahrelang in der Selbsthilfe und in der AG Selbst Aktiv von Menschen mit Behinderungen der SPD aktiv und haben als Inklusionsbotschafterin gewirkt. Wie unterscheidet sich dieses Wirken im Vergleich zu Ihrem jetzigen Landtagsmandat?

Katrin Gensecke: Die Arbeit in der Selbsthilfe musste ich aufgrund des vielfältigen und großen Arbeitsspektrums etwas reduzieren. Die Inklusionsbotschafterin trage ich immer in mir, sie beflügelt mich, gerade vor dem Hintergrund für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Im Grunde bin ich häufig auch in "Doppelfunktion" bei der Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen" unterwegs, wo ich gern auch mal mein Mandat ablege und als selbst betroffene Person meinem Ärger Luft mache, das kann man nur bedingt als Abgeordnete in einer Koalition.

Bei Selbst Aktiv wurde ich im April 2022 zur Co-Bundesvorsitzenden gewählt, worüber ich mich sehr gefreut habe. Das befähigt mich nun etwas gezielter, den Kontakt gemeinsam mit meinem Co-Vorsitzenden Karl Finke zu allen Partei-Gremien der SPD noch intensiver zu nutzen und unsere Belange voranzubringen. Dabei hilft mir natürlich auch, dass ich als Landtagsabgeordnete sehr gut über alle politischen Entscheidungen von Bund und Land informiert werde.

Als Abgeordnete gibt es viele und teilweise andere Gestaltungsmöglichkeiten, wofür ich aber immer eine Mehrheit benötige und im Kreis der Koalitionspartner sehr viel Überzeugungsarbeit - vor allem Aufklärungsarbeit leisten muss und nicht lockerlasse, es ist kein böser Wille der Abgeordneten über ihr Vorstellungsbild von Menschen mit Behinderungen für ein selbstbestimmtes Leben auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Hier verlangt es nach meinem Dafürhalten den Abbau von Stigmas, was ich mir aber nicht aus der Hand nehmen lasse.

Ottmar Miles-Paul: Ein Jahr im Landtag, können Sie schon auf erste Erfolge blicken?

Katrin Gensecke: Ja, der Beschluss der Änderung des Kinderförderungsgesetzes im Dezember 2021, hier werden Eltern tatsächlich finanziell entlastet und gerade in den jetzigen sehr schwierigen Zeiten ist das sehr wichtig!

Außerdem habe ich für die Verabschiedung der Mindestbauverordnung gesorgt und im Haushalt für mehr Mittel für die Frauenhäuser geworben, das hat mich sehr gefreut, weil ich auch hier sehr gute Gespräche mit den Akteurinnen dazu führen konnte und Partizipation mir ein wichtiges Instrument für die Gestaltung von politischen Prozessen ist.

Ottmar Miles-Paul: Und was wollen Sie noch in der Ihnen zur Verfügung stehenden Zeit im Landtag erreichen?

Katrin Gensecke: Im Bereich des inklusiven Arbeitsmarktes möchte ich, wie im Koalitionsvertrag verankert, mehr Beschäftigungsverhältnisse für Menschen mit Behinderungen in der Landesverwaltung vorantreiben, das Budget für Arbeit / Budget für Ausbildung muss mehr als gutes Instrument genutzt werden, dafür werde ich mich stark machen und werben.

Jugendliche mit schwierigen Ausgangsbedingungen und hohem Förderbedarf sollen mit dem Projekt "Assistierte Ausbildung" und künftig mit dem Projekt "Assistierte Ausbildung für die Pflegehilfe" unterstützt werden, eine gute Möglichkeit, was ich unterstützen möchte.

Das Behindertengleichstellungsgesetz des Landes novellieren, den Landesaktionsplan "Einfach machen" mit dem Artikel 7 der UN -Behindertenrechtskonvention erweitern, es gibt viel zu tun und vier Jahre sind schnell vergangen!

Ottmar Miles-Paul: Wenn Sie zwei Wünsche für die Behindertenpolitik in Sachsen-Anhalt frei hätten, welche wären das?

Katrin Gensecke:

- Mehr Behindertenverbände in Sachsen-Anhalt gründen u.a. den BSK, die dann auch institutionell gefördert werden

- Mehr Wohn-Projekte für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf

- Mehr gemeinsamer Unterricht - Inklusion an Schulen endlich umsetzen!

Ottmar Miles-Paul: Vielen Dank für das Interview.

Link zu einem Bericht über die Arbeit von Katrin Gensecke in der Süddeutschen Zeitung vom 1. August 2022

Link zur Facebookseite von Katrin Gensecke