Berlin: Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich bei der ersten Lesung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes um die sonst übliche Debatte im Bundestag gedrückt. Zudem findet am 17. Mai nur eine verkürzte Anhörung statt, für die sich die Opposition noch besonders stark machen musste. Nun steht das Thema Barrierefreiheitsrecht aufgrund eines umfassenden Antrags der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen doch auf der Tagesordnung - und das sogar in der Woche des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung behinderter Menschen am 6. Mai. Und auch sonst ist behindertenpolitisch in der kommenden Woche viel im Bundestagsplenum und im Ausschuss für Arbeit und Soziales los.
Bericht von kobinet-Redakteut Ottmar Miles-Paul
Selten waren die vielfältigen Aktionen zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen so nah am parlamentarischen Geschehen im Bundestag dran. Während behinderte Menschen noch bis zum 9. Mai Aktionen zur Barrierefreiheit und Inklusion durchführen, steht die Behindertenpolitik nächste Woche ganz oben auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Leider handelt es sich dabei hauptsächlich um Anträge der Opposition, die traditionell meist von den Regierenden abgebügelt werden, aber in Zeiten des Vorwahlkampfes zur nächsten Bundestagswahl stirbt die Hoffnung für sachorientierte und längst überfällige zukunftsweisende Entscheidungen zur Behindertenpolitik zuletzt. Es lohnt also ein Blick auf die Tagesordnung des Bundestagsplenums für die Zeit vom 5. bis 7. Mai, denn dort stehen drei Debatten à jeweils 40 Minuten an, die live über das Parlamentsfernsehen unter www.bundestag.de verfolgt werden können. Die Zeiten für die einzelnen Tagesordnungspunkte können sich aber leicht verschieben. Die Redebeiträge und das Abstimmungsverhalten der einzelnen Fraktionen und Redner*innen dürften dabei mehr aussagen als das anstehende Wahlkampfgepolter, das uns zur Bundestagswahl erwartet, denn was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
Link zur Tagesordung des Bundestagsplenums vom 5. bis 7. Mai 2021
Los geht's am 5. Mai. Während die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) bei einer symbolischen Aktion am Brandenburger Tor deutlich macht, dass ein gutes Barrierefreiheitsrecht umfassend geregelt werden muss und dabei beispielsweise auch das bauliche Umfeld Berücksichtigung finden muss, tagt der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages. Dort steht neben dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, zu dem am 17. Mai eine Anhörung stattfindet, auch der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel "Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglichen - Barrierefreiheit umfassend umsetzen" auf der Tagesordnung. Hier fallen dann die Würfel, denn in der Abstimmung im Bundestagsplenum halten sich die Abgeordneten meist an die Vorabstimmungen im Ausschuss. Es muss also laut getrommelt werden, damit die Ausschussmitglieder den Ruf nach Barrierefreiheit gut hören.
Link zur Tagesordnung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 5. Mai ab 9:30 Uhr
Link zum Antrag zur Barrierefreiheit von Bündnis 90/Die Grünen
Damit aber nicht genug, am 5. Mai findet fast zeitglich zum Online Live-Event zum Protesttag, der von Raul Krauthausen und Constantin Grosch moderiert wird und um 17:00 Uhr beginnt, eine 40minütige Debatte zur Teilhabe und Inklusion im Bundestagsplenum statt. Hier werden eine Reihe von Anträgen der FDP-Fraktion nach bisheriger Planung ab 18:30 Uhr debattiert und abgestimmt. Hier geht es u.a. um Assistenzhunde, den Abbau von Hürden beim digitalen Teilhabeausweis, einen menschenwürdigen und inklusiven Arbeitsmarkt, öffentliche Stellungnahmen nur noch mit Gebärdensprachdolmetschung, die Verbesserung der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt und pandemiebedingte Mehrkosten für Einrichtungen der Behindertenhilfe.
Um 17:00 Uhr am 6. Mai steht dann die Debatte zum Barrierefreiheitsrecht zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums mit einer auf 40 Minuten angesetzten Zeit. Und am Freitag, den 7. Mai fallen von 9:40 bis 10:20 Uhr im Rahmen der Debette und Beschlussfassung zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung die Würfel, ob die Regierungskoalition es noch geregelt bekommt, die Assistenz im Krankenhaus zu regeln. Man merkt als anhand dieser Debatten, die nächste Woche anstehen, wie viel behindertenpolitisch in dieser Legislaturperiode liegengeblieben ist und fast in letzter Minute der Parlamentszeit dieser Legislaturperiode noch angepackt wird, bzw. auch nicht geregelt wird.
Ein besonderes Augenmerk richten viele behinderte Menschen dabei vor allem auch darauf, ob endlich umfassende Regelungen zur Barrierefreiheit vom Bundestag verabschiedet werden. Corinna Rüffer, die den Grünen-Antrag dazu entscheidend geprägt hat, hat sich dazu vor kurzem bei der Station des Mahr Barrierefreiheit Wagens in Trier wie folgt geäußert:
"Die EU-Barrierefreiheits-Richtlinie (EAA) wurde bereits 2019 verabschiedet. Die Bundesregierung hat die vergangenen zwei Jahre aber leider nicht dafür genutzt, ein ordentliches Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zu erarbeiten, das private Anbieter konsequent zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet, um Menschen mit Behinderungen mehr Teilhabe zu ermöglichen. Die Bundesregierung hat keinen Deut mehr gemacht als Dienst nach Vorschrift und setzt nur die Minimalanforderungen der EU-Richtlinie um. Das ist mehr als enttäuschend! Wie so oft verkennt die Bundesregierung damit auch das Innovationspotenzial und die künftige Bedeutung von Barrierefreiheit - nicht zuletzt wegen des demografischen Wandels. Bereits die Verhandlungen zur Richtlinie auf EU-Ebene haben meine Fraktion und ich aufmerksam verfolgt und mehrere Berichterstattungen der Bundesregierung im Ausschuss für Arbeit und Soziales beantragt. Meine Fraktion hat die Bundesregierung zudem mehrfach zu der geplanten Umsetzung der Barrierefreiheitsrichtlinie befragt: 2017 mit der Kleinen Anfrage "Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft <http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/132/1813258.pdf <http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/132/1813258.pdf> > " (BT-Drs. 18/13258) und 2019 mit der Kleinen Anfrage Bilanz nach drei Jahren Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes und Umsetzung der Barrierefreiheitsrichtlinie <http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/116/1911659.pdf <http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/116/1911659.pdf> > (BT-Drs. 19/11659)."
Die Antworten hätten schon erkennen lassen, dass die Bundesregierung die Richtlinie offiziell zwar begrüßt, aber über die Mindestanforderungen kaum hinausgehen wird und Barrierefreiheit vor allem als Belastung für die Wirtschaft versteht. "Das bestätigt nun auch der vorgelegte Gesetzentwurf. Dabei hätte die Bundesregierung über die Mindestanforderungen hinausgehen können - wenn der politische Wille vorhanden wäre. Aus unserer Sicht sind größere Anstrengungen nötig, um Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen. Für uns ist Barrierefreiheit auch im Privatsektor ein unverzichtbarer Bestandteil einer inklusiven Gesellschaft. Bisher sind aber vor allem staatliche Stellen zur Barrierefreiheit verpflichtet. Das ist zwar wichtig - aber die Menschen verbringen ihren Alltag mehr in Geschäften, Gaststätten oder Kinos als in Bundesministerien und Behörden. Die Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes werden wir kritisch begleiten und darauf drängen, dass Barrierefreiheit umfassend festgeschrieben wird", erklärte Corinna Rüffer.