Berlin: Über 100 Milliarden Euro Corona-Wirtschaftshilfen wurden bereits seit Beginn der Pandemie von staatlicher Seite an Unternehmen gezahlt. Dass Solidarität keine Einbahnstraße ist, darauf hat der Bundesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel mit Verweis auf Artikel 14 des Grundgesetzes, wonach Eigentum verpflichtet, im Zusammenhang mit der Beschäftigungspflicht Schwerbehinderter immer wieder hingewiesen. Heute, am 16. Mai, da den Bundestagsabgeordneten noch 5 Tage bis zur Abstimmung über das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz am 20. Mai verbleiben, hoffen viele behinderte Menschen und ihre Verbände, dass gemäß dieses Grundsatzes endlich auch Unternehmen zur Barrierefreiheit ihrer Dienstleistungen und Produkte gesetzlich verpflichtet werden.
Während der Corona-Pandemie hat der Staat - und damit wir alle - viele Akteur*innen nicht einfach im Stich gelassen und vielfältige Unterstützungsleistungen an die Wirtschaft gezahlt, die sonst dafür plädiert, dass sich der Staat weitgehend aus dem Wirtschaftsgeschehen raushalten soll und gegen Regulierungen Sturm läuft. So haben die staatlichen Wirtschaftshilfen in der Corona-Krise nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) inzwischen die 100-Milliarden-Euro-Marke erreicht, wie es in einem ntv-Bericht vom 10. Mai 2021 heißt: "Seit März 2020 sind bis heute rund 100 Milliarden Euro an Corona-Wirtschaftshilfen geflossen", wird Bundeswirtschaftsminister Altmaier zitiert. Nach Angaben seines Ministeriums wurden bisher Hilfen in Höhe von insgesamt 99,97 Milliarden Euro bewilligt und außerdem rund 30 Milliarden Euro an Kurzarbeitergeld gezahlt.
Link zum ntv-Bericht vom 10. Mai 2021
Soweit so gut. Diese Hilfen haben sicherlich dazu beigetragen, dass Deutschland bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen ist. Hellhörig darf man nach Ansicht von Ottmar Miles-Paul vom Bündnis für ein gutes Barrierefreiheitsrecht aber schon werden, wenn die Solidarität plötzlich ein Ende hat und zur Einbahnstraße wird, wenn es darum geht, dass die Unternehmen endlich dafür sorgen sollen, dass ihre Angebote barrierefrei werden. Von den Banken eingeforderte und im Gesetzentwurf aufgenommene noch längere Übergangsfristen für die Barrierefreiheit von Geldautomaten bis 2040 haben nicht nur Kopfschütteln ausgelöst, sondern werfen die ernsthafte Frage auf, was da in Deutschland seit Jahrzehnten schief läuft, vor allem wenn dies von der CDU/CSU kräftig unterstützt und vom Regierungspartner SPD weitgehend widerstandslos mitgetragen wird.
Der vom Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel im Zusammenhang mit der Forderung nach Erhöhung der Ausgleichsabgabe für beschäftigungspflichtige Betriebe, die keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, immer wieder verwendete Hinweis auf Artikel 14 des Grundgesetzes mit der Aussage, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist, passt auch sehr gut in Sachen Verpflichtung zur Barrierefreiheit. In Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es eindeutig: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
Dabei fordert niemand, dass Unternehmen bei der Herstellung von Barrierefreiheit in die Pleite getrieben werden sollen. Das wäre absurd, denn behinderte Menschen wollen ja deren Angebote nutzen. Viele Maßnahmen zur Barrierefreiheit sind relativ leicht und mit angemessenem Aufwand möglich, bzw. durch angemessene Vorkehrungen erst einmal zu regeln, wie auch aus dem Vorschlag des Forums behinderter Juristinnen und Juristen hervorgeht. Deshalb ist der Abwehrkampf gegen klare Regelungen zur Barrierefreiheit vonseiten der CDU/CSU Abgeordneten und die Passivität der SPD Abeordneten nicht nachvollziehbar. Bis zum 20. Mai haben sie noch Zeit, durch Änderungsanträge zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz dafür zu sorgen, dass Solidarität wirklich keine Einbahnstraße bleibt und Unternehmen, wie in vielen anderen Ländern auch, endlich umfassend zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. Der bisherige Gesetzentwurf ist schwach und wieder nur Stückwerk, darin sind sich viele Akteur*innen einig.